Jobwechsel nach 18 Jahren

Achtung: In diesem langen und textreichen Beitrag geht es weder um einen Restauranttest noch um einen Urlaubsbericht 🙂

Die Vergangenheit

Fast jeder hat so einen Kollegen: morgens der Erste, abends der Letzte. Wenn er mal nicht da ist, ist er per Mail erreichbar. Jeden Tag. Auch am Wochenende und im Urlaub. Dieser Kollege kennt alle Leute, alle Leute kennen ihn. Er war schon immer da und er wird immer da sein. Jeder möchte so einen Kollegen haben, niemand möchte aber selbst derjenige sein.
Dieser Kollege war ich fast 18 Jahre.

Ich habe 18 Jahre beim gleichen Arbeitgeber gearbeitet, habe viel Blut, Schweiß und auch ein paar Tränen vergossen. Ich habe Unmögliches möglich gemacht, bin so lange mit dem Kopf gegen Betonwände gelaufen, bis sie eingestürzt sind, habe viele kleine und einige größere Niederlagen eingesteckt. Einige waren gerechtfertigt, einige waren nicht gerechtfertigt, nach jeder Niederlage bin ich aber wieder stärker als vorher wieder aufgestanden.

Ich habe sieben Tage pro Woche gearbeitet, Hunderte Überstunden im Jahr gemacht, in 25 Tagen Urlaub habe ich fast jeden Tag nach meinen Mails geschaut, nach einer schief gelaufenen OP habe ich am Tag nach der OP meine Mails bearbeitet.
Warum?
Gedankt hat es mir direkt keiner. Mein monatliches Schmerzensgeld hat das lange nicht aufgefangen und Spaß hat es mir auch nicht immer gemacht.
Ich habe mir einfach sehr gut in der Rolle des super-verlässlichen Kollegen, der immer da ist, den alle kennen und der alle kennt, gefallen und ich habe mich gerne in alle möglichen Themen eingebracht und manchmal auch eingemischt. Zu sehen, welche Auswirkungen Beharrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein haben, hat Spaß gemacht.

Jeden Tag möchte ich aufs Neue beweisen, dass ich Unmögliches möglich machen kann und ich möchte Grenzen verschieben. Geht nicht, gibts nicht.

In den ganzen Jahren war ich nicht nur Kollege, sondern auch Chef. Meist mit guter Laune, meist mit nachvollziehbaren Entscheidungen, meist mit klaren Aussagen, immer fair.
Leider gehört zum „Chefsein“ auch dazu, Urlaube mal nicht zu genehmigen, ernste Gespräche zu führen und sich von Kollegen zu trennen. Auf diese ganzen unangenehmen Auseinandersetzungen hätte ich sehr gerne verzichtet, habe aber aus jeder dieser Situationen viel gelernt.

Für unsere Studenten habe ich mich sehr engagiert, um spannende und herausfordernde Aufgaben zu finden, obwohl ich eigentlich gar nicht der offizielle Ansprechpartner gewesen bin. Einfach weil ich es wichtig fand. Für etliche Studenten habe ich mich um direkt oder indirekt um die Betreuung bei der Bachelor- oder Masterarbeit gekümmert. Meist am Wochenende.
Zu vielen ehemaligen Studenten habe ich immer noch ein tolles Verhältnis. Es ist einfach toll zu sehen, wie aus den anfangs zurückhaltenden Studenten, gestandene Leute geworden sind.
Das macht mir Spaß.

In den letzten paar Jahren habe ich kaum mehr Unmögliches möglich gemacht, kaum noch Veränderungen herbei geführt, sondern mich mehr und mehr um die Verwaltung des IST-Bestands gekümmert. Das ist aber so aufwendig geworden, dass ich immer noch sieben Tage die Woche gearbeitet habe. Ich bin etliche Male mit dem Kopf gegen Betonwände gelaufen, aber außer Kopfschmerzen und ab und zu einer blutigen Nase hat das keinen Effekt gehabt.
Das hat mir keinen Spaß gemacht.

Die Gelegenheit

Wie es manchmal so kommt, hatte ich die Gelegenheit einen Job anzunehmen, bei dem ich keinen Stein auf dem anderen lassen soll. Hier soll es darum gehen Wunder zu vollbringen und alles infrage stellen zu dürfen, was da ist. Die Verwaltung des IST-Bestands wird kein großes Thema sein, denn es gilt auch ein neues IST festzulegen.
Das klang nach einer großen Herausforderung, auf die ich unwahrscheinlich viel Lust habe und der ich sicherlich auch mehr als gewachsen bin.
Ich bin zu der Entscheidung gekommen, meine Position, als der Kollege der immer da ist und den alle kennen aufzugeben und eine neue Rolle in einem anderen Unternehmen anzunehmen.

Der Abschied

In der Kündigungsfrist von sechs Monaten habe ich mich drum gekümmert, meine Aufgaben auf andere zu verteilen, da es für mich keinen Nachfolger geben wird. Es hat sich eine neue Struktur gefunden, in die meine Aufgaben verteilt werden sollten. Viele Punkte der neuen Struktur habe ich nicht verstanden. Bei der gesamten Umsetzung hätte ich wahrscheinlich auch vieles anders gemacht. Trotzdem habe ich die Umstrukturierung mit voller Kraft unterstützt. Auch hier habe ich viel gelernt und werde das neu erlernte bei meiner neuen Aufgabe anwenden können. In den ganzen Monaten konnte ich mich damit beschäftigen, von „meinen“ Themen Abschied zu nehmen.

Zum Ende meiner Zeit beim jetzigen Arbeitgeber habe ich von vielen ein wahnsinnig tolles Feedback bekommen, dass macht mich sehr stolz und motiviert mich beim nächsten Job noch mehr Gas zu geben.

„Du bist ein ungewöhnlich feiner und fairer Mensch und hast das seltene Talent, lösungsorientiert und zugleich so positiv und motivierend zu sein, dass man statt Druck Lust bekommt, es gemeinsam anzupacken. ”Wir schaffen das!“ 🙂 Du gehörst zu der Handvoll Leute, mit denen ich am liebsten eine Firma gründen würde.“

Zum Abschied habe ich den engsten Kreis von Kollegen zu einem Frühstück eingeladen und wunderte mich sehr darüber, dass der engste Kreis aus rund 60 Personen bestand… Ein erweiterter Kreis wären wohl über 100 Personen geworden.. WOW!

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Ich hoffe sehr mit vielen Menschen in Kontakt zu bleiben. Der Abschied von den Themen ist mir erstaunlicherweise ziemlich leicht gefallen. Der Abschied von den Menschen fällt mir dagegen sehr viel schwerer.

Die Zukunft

Da ich meinen ganzen Resturlaub zum Schluss genommen habe, steht mir mit fast vier Wochen der längste Urlaub meines Lebens bevor. Das Besondere an diesem Urlaub ist: Ich brauch und kann nicht nach beruflichen Mails gucken. Es gibt keine alten Mails und neue gibts auch noch nicht.
Komisches, aber irgendwie ein erleichterndes Gefühl.

Für mich endet ein wichtiger Abschnitt meines Lebens und ein neuer beginnt.
Fast wie „zur Schule“ kommen 🙂

Jetzt gehts aber auf Kreuzfahrt und im November gehts voller Tatendrang und unendlich vielen Ideen mit dem neuen Job los!